Wo der Weg aufhört, beginnt das Abenteuer
Der Nebel liegt noch über den Hügeln Südspaniens, während die ersten Sonnenstrahlen zaghaft durch die Zweige uralter Bäume dringen. Zwischen ihren knorrigen Stämmen ducken sich ein paar Zelte, still und noch feucht vom Tau der Nacht. In der Ferne blitzt eine kurvige Straße zwischen den Erhebungen auf – der aufgewirbelte Staub der letzten Tage hat sich wieder gelegt. Es ist der letzte Morgen einer Woche, die den Teilnehmern des BMW Motorrad Expedition Leader Programms alles abverlangt hat. Unter ihnen: Lilla Gyarmati, eine 33-jährige Finanzexpertin aus Frankfurt, Deutschland.
Die gebürtige Ungarin sitzt auf ihrer BMW R 1300 GS und lässt den Motor im Leerlauf schnurren. Der vertraute Sound weckt Erinnerungen an ihre ersten Motorrad-Abenteuer: Als Kind mit ihrem Vater durch die wilden Karpaten Rumäniens, später das Training für die Int. GS Trophy in Albanien. „Nach der Teilnahme an der GS Trophy fällt man in ein Loch," erinnert sie sich. "Man fragt sich, was jetzt kommt.“ Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten: Es folgte eine Ausbildung zum Off-Road Instruktor, dann zum On-Road Tourguide. Und schließlich die Anfrage von BMW, ob sie zu den ersten gehören möchte, die an der neuen Ausbildung zum Expedition Leader teilnehmen. Lilla hat sofort zugesagt, denn wenn es etwas gibt, wofür sie bedingungslos brennt, dann ist es das Motorradfahren.
Man kann extreme Situationen gezielt üben!
“Lilla Gyarmati
BMW Motorrad Expedition Leader
Der erste Ausbildungstag beginnt mit einer Mischung aus Vorfreude und Nervosität. Die acht Teilnehmer spüren die Spannung in der Luft, denn keiner weiß, was sie in den kommenden Tagen erwartet. Die Ausbildung zum Expedition Leader ist ein noch nie dagewesenes Programm. Lilla kann nicht anders, als sich zu fragen: „Bin ich dieser Herausforderung wirklich gewachsen?“
Nachdem die Zelte aufgebaut sind – das Zuhause der Teilnehmer für die kommenden sieben Tage – ist technisches Know-how gefragt. Das Team muss mit minimalen Ressourcen ein Motorrad wieder zum Laufen bringen, ohne das Problem zu kennen. Schritt für Schritt untersuchen sie das Fahrzeug. Konzentration, Kreativität und Teamwork führen schließlich zur Lösung. Und für den Fall, dass eine Reparatur nicht möglich sein sollte, steht der Motorrad-Schleppvorgang ebenfalls auf dem Stundenplan der Ausbildung.
Neben technischen Fähigkeiten sind Rettungsübungen ein essenzieller Teil der Ausbildung. „Wir haben Extremsituationen geübt, die natürlich simuliert waren,“ berichtet Lilla. „Ein Motorrad hatte sich zum Beispiel überschlagen. Ein Mensch lag darunter und wir mussten ihn sicher befreien.“ Doch es bleibt nicht nur bei Simulationen. Wie der Zufall es will, ereignet sich plötzlich ein realer medizinischer Notfall. Der Arzt, der das Team während der Übungen begleitet, erleidet einen allergischen Schock nach einem Bienenstich.
In diesem Moment wird aus der Übung bitterer Ernst. „Er atmete sehr schwer und musste mich anleiten, ihm die Medikamente korrekt zu verabreichen,“ erinnert sich Lilla, die den Arzt stabilisierte, bis er ins Krankenhaus gebracht werden konnte. „Diese Erfahrung werde ich niemals vergessen.“
Die Ausbildung nimmt ihren Lauf, die Teilnehmer werden immer sicherer. Während die Motorräder über unwegsames Terrain manövrieren und Staub aufwirbeln, bereitet sich Lilla gedanklich auf die Tour vor, die sie am nächsten Tag führen muss.
Nach den kollektiven Übungen heißt es nun: Alleinige Verantwortung übernehmen und die Gruppe durch unbefestigtes Gelände leiten. Zu dieser Aufgabe gehört auch eine Fahrtbesprechung, die bewertet wird. Ein Expedition Leader muss das Team im Vorfeld informieren: Wo fahren sie hin, wie lange sind sie unterwegs, welche Regeln gelten während der Fahrt und wie handelt das Team im Notfall?
Am nächsten Abend sitzen die Teilnehmer erschöpft, aber zufrieden um ein Lagerfeuer. Die Hitze des Tages ist einer kühlen Brise gewichen. Lilla kann durchatmen, die von ihr geleitete Tour verlief erfolgreich. Jetzt tauscht sie Geschichten mit ihren Mitstreitern aus. „Wir hatten eine tolle Gruppe von Instruktoren,“ schwärmt sie. „Diese Aufgaben gemeinsam zu lösen, hat uns zusammengeschweißt.“ Trotz der Strapazen – wenig Schlaf und harte physische und mentale Herausforderungen – spürt man ihre Begeisterung. „Ich würde es jederzeit wieder machen,“ sagt sie mit leuchtenden Augen.
Die anfängliche Nervosität – „Ich wusste nicht, was auf mich zukommt“ – wich schnell einem Gefühl der Freude und des Stolzes, zu dieser erlesenen Gruppe zu gehören. „Am letzten Tag war ich traurig, dass es vorbei war. Aber auch erleichtert, weil ich wusste: Ich habe es geschafft.“
Allen, die die Grundausbildung bereits hinter sich haben, kann Lilla die Expedition Leader-Ausbildung nur ans Herz legen. „Man bekommt die Gelegenheit, extreme Situationen gezielt zu üben und sich weiterzuentwickeln. Die Theorie aus dem Klassenzimmer fühlt sich in der Praxis ganz anders an. Und man trifft Gleichgesinnte. Diese Community ist etwas ganz Besonderes.“
Lillas Reise ist noch lange nicht vorbei. Im Gegenteil: Mit der Zertifizierung als Expedition Leader hat sie gerade erst begonnen. „Viele trauen sich nicht zu, offroad zu fahren oder allein auf Reisen zu gehen,“ erklärt sie. „Deswegen will ich als Expedition Leader anderen Motorradfahrern zeigen: Traut euch – ihr schafft das!“